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Karlspreis

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Wir haben es schon früher einmal festgestellt, meine Damen und Herren: Das Buch hat ihm nicht gefallen. Karl Lagerfeld hat «The Beautiful Fall» von Alicia Drake als «Schundliteratur» bezeichnet. Jene 2006 erschienene Biografie stellte unter anderem fest, dass Lagerfeld nicht, wie von ihm behauptet, 1938 geboren sei, sondern am 10. September 1933. Ohne Frau Drake könnten wir ihm also hier gar nicht zum 80. Geburtstag gratulieren. Oder jedenfalls nicht dieses Jahr. Herzlichen Glückwunsch!

In Drakes Buch geht es um zwei rivalisierende Gangs, ein bisschen wie in «West Side Story», bloss nicht auf den Strassen New Yorks, sondern in der Pariser Modeszene der Siebzigerjahre des letzten Jahrhunderts. Und der Kampf der Camps ist selbst ein bisschen camp: ein Kampf um Stilvormacht und geschmackliche Deutungshoheit: Lagerfeld gegen St. Laurent. Das Ergebnis ist das bekannte: Während Yves Saint Laurent eher dem klassischen Typus (oder: Klischee) des hypersensiblen Künstlers entspricht, der zwischen Drogen, Depressionen und Dauerhysterie immerhin ein paar garderobenkulturelle Wegmarken und ikonische Kollektionen zustande brachte, ist Karl Lagerfeld ein robuster Auftragsarbeiter, eine Design-Drohne und Modemaschine, die den kommerziellen Aspekt des Modegeschäfts völlig verinnerlicht hat und stets auf genialische Weise dafür sorgte, dass sich die Kollektionen auch verkauften. (Wenigstens die unter fremden Namen.)

Karl Lagerfeld trägt gerne enge Hemden mit hohem Kragen und dazu Handschuhe, denn an Hals und Händen lässt sich das Alter am leichtesten ablesen. Er schrieb damals einen wütenden Brief an Alicia Drake, in dem er ihrem Buch rund hundert Fehler attestierte. Man könnte sich fragen, wieso er das nötig hat. Er ist doch längst eine Instanz. Sie wissen ja, meine Damen und Herrn, dass ich finde, dass man Herrn Lagerfeld einfach gernhaben muss. Gerade liess er sich über die Hosen vernehmen, die Angela Merkel beim Empfang von US-Präsident Barack Obama im Berliner Schloss Charlottenburg trug: «Extrem-Schlaghose», sprach Karl, was bei ihm klingt wie «Molotow-Cocktail» oder «Selbstmord-Attentat» und dann unter Überschriften wie «Karl Lagerfeld geht auf Merkels Hose los» in der deutschen Medienwelt für Erzitterungen sorgte. «Frau Merkel müsste so etwas für ihre speziellen Proportionen massanfertigen lassen», erklärte KL dem Magazin «Focus». «Aber sie will ja keine Ratschläge, habe ich gehört.» (Was Herr Lagerfeld nicht sagte, ist, dass Angela Merkel üblicherweise für ihre «speziellen Proportionen» gar nicht so schlecht angezogen ist. Die Betroffene selbst übrigens wird, wie von Karlchen vermutet, die Debatte mutmasslich völlig unbeeindruckt lassen.)

Lagerfelds Deutlichkeiten sind, wir sagten es schon, nicht immer geistreich, doch stets prägnant. Nie könnte ihm sowas passieren wie dem versoffenen Ekel John Galliano dessen dumme und primitive Hasstiraden gegen Juden und Asiaten. Lagerfeld kritisiert Leute, die im Rampenlicht stehen, auch solche, die als Stilikonen gelten, wie Michelle Obama, die mit ihrer Pony-Frise aussehe «wie eine Nachrichtensprecherin». Herr Lagerfeld selbst mag an schlechteren Tagen inzwischen aussehen wie eine pensionsreife Näherin, die an der Rue Cambon unterm Dach vergessen wurde, aber wir sind wahnsinnig froh, dass es ihn gibt. Und gratulieren ihm nochmals herzlich zum Geburtstag! Und zwar auf unsere ganz eigene Art: «RAF wollte Lagerfeld entführen», titelte vor ein paar Jahren die Boulevardpresse und bezog sich damit auf angebliche Pläne der sogenannten Rote Armee Fraktion (einer historischen deutschen Terroristengruppe), 1977 den damaligen Künstlerischen Direktor des Pariser Konfektionshauses Chloé zu kidnappen, um Geld für konspirative Unternehmungen freizupressen. Der Plan wurde fallen gelassen. Darüber sind wir froh, stellen aber anlässlich des grossen Karl-Lagerfeld-Jubiläums doch einmal die Frage: Was wäre geschehen, wenn Karl Lagerfeld von der RAF entführt worden wäre? Nun, wohl ungefähr Folgendes:

1. Tag

Karl Lagerfeld besteht darauf, dass der Heizkörper, an den er gekettet werden soll, in Mauve lackiert wird.

2. Tag

Herr Lagerfeld verlangt Coca-Cola statt Wasser.

4. Tag

Herr Lagerfeld verlangt anders gemusterte Bettwäsche. Begründung: «Von diesen roten Sternchen krieg ich Alpträume.»

6. Tag

Herr Lagerfeld rät Christian Klar zu einer Maniküre.

8. Tag

Herr Lagerfeld rät Inge Viett von ihrer Mittelscheitelfrisur ab. Begründung: «Sie sehen aus wie eine Nachrichtensprecherin.»

9. Tag

Inge Viett möchte aus der Notfallkasse für konspirative Aktionen Geld für den Friseur.

11. Tag

Es kommt zu einem Streit im RAF-Führungskommando, weil Christian Klar mitanhört, wie Stefan Wisniewski und Peter-Jürgen Boock planen, vorteilhaftere Fahndungsfotos von sich anonym an die Polizei zu schicken.

14. Tag

Herr Lagerfeld verlangt für das Foto «14 Tage in der Gewalt der RAF» einen Stylisten. Ausserdem will er sich zur Datumsverifizierung nicht mit «Libération», sondern nur mit «Vogue» fotografieren lassen. Christian Klar ruft daraufhin bei «Vogue» an, aber da ist eine Assistentin namens Anna Wintour am Telefon, die ihn als unwichtig einstuft und auflegt.

15. Tag

Es kommt schon wieder zum Streit im RAF-Führungskommando, weil Brigitte Mohnhaupt plötzlich mit einer Bluse auftaucht, die verdächtig nach Chloé aussieht. Klar wirft Mohnhaupt daraufhin vor, wie eine Repräsentantin des Systems rumzulaufen, hat aber seinerseits verdächtig glänzende Fingernägel.

17. Tag

Die Terroristen geben auf und setzen Herrn Lagerfeld auf einer süddeutschen Autobahnraststätte aus. Dieser stellt fest, dass ihm die Benutzung der dortigen Waschräume nichts ausmacht, wertet das als erstes Anzeichen des Stockholm-Syndroms und begibt sich umgehend in Behandlung. Eine Woche später erklärt er im Interview mit Dick Cavett: «Die waren alle viel zu fett. Das war der wahre Terror.»


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